Der „Dampfhammer“ der DDR - Awo-Zeitungsartikel

  • Potsdamer Neueste Nachrichten, 16.08.2010


    Der „Dampfhammer“ der DDR


    Die „Awo 425“ wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Wie der MC Blütenstadt Werder ihr Andenken pflegt (15.08.10)
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    Von Henry Klix
    Werder (Havel)/Potsdam - Ihr wuchtiger Klang, die Unverwüstlichkeit und der Zauber der 50er Jahre, den sie verströmt – es gibt viele Gründe, warum Michael Moschansky von der „Awo 425“ nicht lassen kann. Beim MC Blütenstadt Werder, dessen Mitglied der Babelsberger seit zehn Jahren ist, gilt er als ausgewiesener Experte der Simson-Motorräder, von denen bis 1961 über 200 000 vom Band liefen. Zwei davon hat er bereits restauriert und eine Awo-Rennmaschine, von denen in der DDR nur 15 Stück gefertigt worden waren, als Replik komplett nachgebaut.
    „Awtowelo“ war eine sowjetische Aktiengesellschaft, die hauptsächlich aus dem 1945 beschlagnahmten BMW-Werk in Eisenach und der Jagdwaffenschmiede Simson in Suhl entstand. Von der Abkürzung rührt die Bezeichnung des ersten und einzigen Motorrads, das vor 60 Jahren erstmals in Suhl produziert wurde. Bei Westexporten ging der russische Name nicht durch, weshalb die Awo auch als „Simson 425“ produziert wurde, wie Moschansky weiß. Die 4 bedeutet „Viertakter“ und die 25 „250 Kubik“. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1950 war die Awo ein Renner, bis zum Jahresende verkauften die Thüringer 1000 Maschinen.
    Das Awo-Jubiläum fällt mit dem zwanzigsten Geburtstag des Werderaner Zweiradmuseums zusammen, das vom MC Blütenstadt betrieben wird. So soll beim Museumsfest am 22. August auch beides gefeiert werden: Ein Awo-Präsentationslauf wird gegen 13 Uhr der Höhepunkt der Feierlichkeiten in den Havelauen sein, alle Awo-Besitzer dürfen mitfahren. Michael Moschansky dürfte mit seiner Renn-Awo einmal mehr zum Glanzstück der Technikparade werden. Seit drei Jahren ist er mit seiner gewienerten Maschine ein Hingucker auf Oldtimer-Rallyes.
    Im Jahr 1985 hatte er seine erste Touren-Awo mit Beiwagen auf einem Schrottplatz in Kähnsdorf erworben, ein Kollege beim VEB Personenkraftverkehr hatte ihn für den „Dampfhammer“ begeistern können. Seine viel jüngere MZ verkaufte Moschansky bald, zumal er im Awo-Gespann seine Frau und die kleine Tochter unterbringen konnte. Der Oldtimer ersetzte 1992 auch die Hochzeitskutsche.
    Auf die Touren-Awo folgte 1989 der zweite Erwerb – der Rahmen einer Sport-Awo, die sich von ihrem Vorgänger vor allem durch den modernen Federungskomfort unterschied. Kurz vor der Wende kaufte Moschansky noch das Ersatzteillager einer Awo-Werkstatt in Babelsberg auf. Das Originalwerkzeug mit Abziehern, Dornen und Schlüsseln bekam er geschenkt. Das half ihm, die Sport-Awo zu komplettieren. Kerben an alten Motorblocks lassen ihn vermuten, dass mancher ländliche Besitzer den Maschinen auch mit dem Meißel auf die Pelle rückte. Fast alles ließ sich diese robuste Motorrad gefallen, nur die Magnetzündung musste gelegentlich „aufmagnetisiert“ werden.
    Moschansky schätzt, dass in Potsdam 20 Awos zugelassen sind. Im MC Blütenstadt Werder haben sechs Mitglieder ein oder zwei Awos in der Werkstatt. Dass das Interesse an den robusten Motorrädern wächst, sei auf den Teilemärkten spürbar, sagt Moschansky. „Es wird teurer, man muss länger suchen.“ Für den Neuaufbau der frisierten Renn-Awo, mit der die Suhler in den 50er Jahren die junge Republik aufmischten, nahm sich Moschansky vier Jahre Zeit. Mit 24 PS hat sie die doppelte Antriebskraft ihrer Verwandten. Als Vorbild diente ihm das letzte Original eines Oldtimer-Kollegen in Dresden, den er häufig besuchte.
    Den Flachschieber-Rennvergaser bekam er wie durch ein Wunder durch eine Anzeige, die Linierung der Kotflügel erledigte ein pensionierter Max-Reimann-Lackierer. Vom Tank fand er bei einem Simson-Rentner das Holzmodell. Naben wurden neu gegossen, Alukotflügel gepresst. Für einen perfekten Nachbau einer Kotflügel-Schelle ging schon mal ein ganzer Tag drauf. Gern würde das Zweiradmuseum die Replik ausstellen, doch Moschansky gibt sie nicht raus: „Ich will ja damit fahren.“ Bei Oldtimerrennen bringt er die Maschine auf 140 Sachen und mehr. „Aber wichtiger als das Tempo ist der Sound.“
    Man kann sich denken, womit der Werkstattmeister der Havelbus-Verkehrsgesellschaft in den nächsten Jahren seine Freizeit verbringt: In seiner Reihe fehlt Moschansky nun noch eine Cross-Awo. Den Zweitakter-Konkurrenzmaschinen von MZ aus Zschopau, der RT, ES und BK, war die Awo lange Jahre überlegen, meint der Bastler. Doch wegen des höheren Materialaufwandes für den Suhler Viertakter wurde die Produktion 1961 eingestellt, in Suhl wurden fortan, beginnend mit der bekannten „Vogelserie“ von Spatz bis Schwalbe, nur noch Mopeds gebaut. Ein aufgebauter „Star“ in Moschanskys Werkstatt – er schenkte ihn seiner Frau zum 40. Geburtstag – erinnert an dieses düsterste Kapitel der Awo-Geschichte.

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