Ich wußte es immer schon. Meine Frau versteht mich nicht.
"Du tust ja gerade so, als gingst du auf große Fahrt! Was soll der ganze Aufwand?" So kommentierte sie meine Reisevorbereitungen für die Fahrt nach Suhl. Reise? Sind 150 km eine Reise? Mit dem Auto bewältigt man das auf der linken Backe. Mit dem Fahrrad wäre das eine satte Tagestour. Und mit dem Roller? Keine Ahnung! Ich mache das zum ersten Mal.
Dementsprechend gründlich fällt auch meine Vorbereitung aus. Da wären zunächst einmal die Karten. Laminierte Farbkopien, sowohl von der Reiseroute, als auch von der Umgebung von Suhl, im Maßstab 1:400.000 sowie 1:200.000. Ist das übertrieben? Oh, nein. Ich weiß genau, ich habe einen Orientierungssinn wie Hänsel und Gretel. Ohne Karte bin ich aufgeschmissen.
Der Schlafsack ist noch einwandfrei. Das Zelt ist ein Billigding aus dem Baumarkt aber es hat mir schon auf vielen Fahrradtouren gute Dienste geleistet. Nur 1,5 kg und hoffentlich noch dicht. Anders als die Luftmatratze. Die läßt Luft. Aber nur minimal, und ich kann ums Verrecken das Loch nicht finden. Nunja, für eine Nacht wird es reichen.
Das alles kommt in die blaue Sporttasche, aber wie kriege ich die auf dem Roller fest? Sie wird auf den Soziussitz gesetzt, die Tragegriffe werden am Heckbügel festgeschnallt. Damit sie nicht nach hinten wegrutscht wird sie vorne noch mit einem Gurt gesichert. Nun sitzt sie bombenfest.
Am nächsten Tag in der Firma unterhalte ich mich mit einem Kollegen über Routenplaner. Irgendwie kommen wir auf meine Fahrt nach Suhl zum Simson-Treffen zu sprechen.
"Oh, nach Suhl fährst Du? Wie weit ist das von hier?"
"Etwa 150 Kilometer."
"Fährst Du mit dem Roller?"
"Na klar, sonst macht das doch keinen Spaß!"
Jetzt erst bemerkte ich das Leuchten in seinen Augen.
"Willst du mitkommen?" fragte ich ihn.
Er nickte begeistert.
Thomas ist eine rheinische Frohnatur mit einem ansteckenden Grinsen. Ein prima Kerl und guter Kumpel. Er fährt eine MZ mit Beiwagen, die Maschine hat er mit geringer Laufleistung original von der Volkspolizei Schwerin gekauft und das ganze Studium hindurch gefahren. Eine echte Honecker-Harley, wie ich später erfahren sollte. Kann ich mit meinem 50er Roller da wohl mithalten? Schließlich läuft Schaukelpferdchen auf der Geraden nur knapp über 60.
"Mach dir keine Sorgen" meinte er. "Ich fahre mit dem Gespann auf der Landstraße auch nicht schneller als 80. In den Kurven muß ich aufpassen, daß es mich nicht auf die Gegenfahrbahn trägt. Insbesondere Rechtskurven sind übel. Ich fahre also einfach hinter dir her."
Mittwochabend stellte sich die Getränkefrage. Ich fuhr zum Wieshayer, meinem Lieblings-Getränkemarkt. Am selbstgekelterten Apfelsaft vorbei steuerte ich zielstrebig auf das Bier zu. Was nehmen wir? Büchenbacher Bockbier mit 7,1 Vol%? Zu stark, schließlich will ich die Simsonisten ja nicht abfüllen. Ich nehme das normale Büchenbacher, und Flinderer-Bier gibt es auch. Also je 6 Flaschen zu einem halben Liter. Der Typ an der Kasse staunte nicht schlecht, daß ich 12 Flaschen Bier kaufte und als Fahrzeug nur einen Roller hatte. Ich selbst war auch nicht minder überrascht, daß man in einem Roller tatsächlich locker ein Dutzend Bierflaschen unterbringen kann. Wirklich praktisch, so ein Helmfach.
Am Donnerstagmorgen hatte das lange Warten ein Ende. Den Roller hatte ich am Vorabend schon beladen, es fehlten nur noch ein paar Kleinigkeiten wie Karten, Butterbrote und eine Flasche Wasser für die Fahrt. Das alles packte ich ins Cockpit, dann ging es endlich los.
Zuerst zu Thomas nach Buchau. Er stand mit seiner "Emme" schon auf dem Hof und wartete auf mich. Wir verkabelten und prüften die Funkgeräte ( SwallowKing: Funken während der Fahrt macht wirklich Sinn! Es ist immer hilfreich, wenn man sich verständigen kann.), dann fuhren wir endlich los.
Wir waren noch keine 500 m gefahren, da waren wir uns schon über die genaue Fahrtroute uneinig. Ich wollte geradeaus fahren, Thomas bog links ab. "Wo willst du hin?", fragte ich über Funk. Die Antwort war etwas unverständlich, später haben wir die Mikros richtig am Helm angebracht, um die Verständigung zu verbessern. Na gut, dachte ich, er wird schon wissen, wo man am besten fährt. Also ab nach Norden, am besten westlich an Bayreuth vorbei.
Auf einigermaßen verschlungenen Nebenstraßen gelangten wir nach Trockau, einem entzückenden kleinen Dorf, dessen wichtigste Eigenschaft der Autobahnanschluss und die Dorfdisko sind. Letztere ist weit über die Gemeindegrenzen hinaus bekannt und berüchtigt. Obwohl das Straßennetz dort recht übersichtlich ist, schaffe ich es trotzdem immer wieder, mich dort zu verfahren. Deswegen ließ ich Thomas den Vortritt.
Kurz hinter Trockau kam uns eine Gruppe Wanderer entgegen. Die Herren waren mit bloßem Oberkörper unterwegs (es hatte hier morgens um halb neun höchstens 14 °C), zwei von ihnen zogen einen Bollerwagen, dessen Inhalt sich nur vermuten ließ. Mir fiel auf, daß sie alle munter marschierten und durchaus noch geradeaus laufen konnten. Irgendwie hatte ich die Vermutung, daß sich dies im Laufe des Tages noch ändern würde.
Kurze Zeit später hatten wir dann die Bescherung: Straße nach Obernsees gesperrt, Umleitung. Na gut, also fahren wir die Umleitung. Die ist zwar ein Umweg (das haben Umleitungen so an sich) und bringt uns noch weiter nach Westen, aber dennoch schafften wir es, uns mehr oder weniger elegant an Bayreuth vorbeizumogeln.
Bei Heinersreuth (nördlich von Bayreuth) schlugen wir nach langem Sturzflug auf der B85 auf, die soll uns nach Kulmbach zu Simmiopi bringen.
Soweit die Theorie. Die Praxis sah etwas anders aus. Was nützt eine detaillierte, präzise und hundertprozentig genaue Wegbeschreibung (von Simmiopi), wenn sie im Handschuhfach von Schaukelpferdchen liegt (das kann ich während der Fahrt nicht öffnen, dazu müßte ich den Zündschlüssel abziehen, dazu bin ich nicht wahnsinnig genug!) und der Fahrer (in diesem Fall meine Wenigkeit) sich einbildet, den Weg auch so zu finden.
Wir fuhren also auf einer gut ausgebauten vierspurigen B289 Richtung Rehau. Bei der ersten Abfahrt packte mich der Zweifel. Hier rechts ab? Egal, zu spät, und anhalten is nich. Also weiter, aus Kulmbach heraus. Die Plassenburg rechts auf dem Berg nahm ich kaum wahr. An der nächsten Ausfahrt runter von der Straße und rechts ran, im Handschuhfach wühlen. Wir zwei komischen Gestalten mit ratlosen Gesichtern und noch komischeren Fahrzeugen erregten offenbar die Aufmerksamkeit eines vorbeikommenden Radfahrers. Wo wir denn hinwollten? Ich nannte ihm die Straße und äußerte die Vermutung, daß ich wohl falsch abgefahren sei. Nicht schlimm, meinte er, hier die Parallelstraße zurück, dann hinter der Tanke rechts ab. Gesagt, getan, gefunden!
Moral von der Geschicht:
1. Auf der Kulmbacher Umgehungsstraße kann man nicht anhalten, um auf die Karte zu schauen. Sowas macht man vorher!
2. Manchmal kommt Hilfe von unverhoffter Stelle.
3. Der kürzeste Weg ist nicht unbedingt der einfachste.
Wir fuhren also bei Simmiopi auf den Hof. Aber da war keiner! Ich hatte erwartet, ihn dort beim Einpacken anzutreffen. Ah, da kam er schon um die Ecke. Er hatte uns offenbar von der anderen Seite des Hauses hier herumsägen hören (besonders mich, Schaukelpferdchen ist unüberhörbar!). Er führte uns auf die andere Seite des Gebäudes, und da stand er. Ein zwar nicht mehr ganz jugendlicher, aber durchaus noch rüstiger Passat, mit zwei Schwalben beladen. Ich staunte nicht schlecht, hatte aber von anderen schon gehört, daß selbst in kleinere Autos zwei Schwalben reinpassen, wenn man sie platzsparend zerlegt (quetsch, stopf).
Wir tranken eine Tasse Kaffee, redeten noch eine Weile. Simmiopi mühte sich redlich, mir den Unterschied zwischen Originalersatzteilen und billigen Nachbauten zu erklären, und zwar am Beispiel einer gebrochenen Hohl-Schaltwelle. Einer was? Wieso sind Schaltwellen hohl? Kann man nur bei Wind und Wellen schalten? Ich fahre einen SRA 50, einen Joghurtbecher mit Automatik, brauche ich sowas auch? Nein, aber ich werde mir wirklich bald eine Schwalbe zulegen müssen, und sei es nur, um der Sache mit der hohlen Schaltwelle auf den Grund zu gehen. Oder andersherum: bei der Schwalbe ist die Schaltwelle hohl, beim Plastikroller der Fahrer
--- Fortsetzung folgt (vorausgesetzt es besteht Interesse) ---