Kurztrip ins heilige Land

  • Also in Gößweinstein soll es einen Simsonhändler geben. So stand es im Forum. Wieso weiss ich davon nix? Schliesslich habe ich mal dort gewohnt.


    Die Sache macht mich neugierig. Also frage ich meinen Lieblingskollegen Matthias. Er sitzt ca. 2 m Luftlinie von mir entfernt und ist Eingeborener. Er wohnt zwar nicht da, aber vielleicht weiss er was.


    Ob es da wohl einem Simsonhändler in Gößweinstein gäbe, frage ich ihn.


    "Gößmaheiling? Ja, da is aner."


    Etwas genauer bitte, lieber Matthias.


    "Na drunt'n beim Lidl. An derer Tankstell'n!"


    Ach so! Ja Menschenskinder, das ist ja fast gegenüber von meiner ehemaligen Wohnung! Von meinem Arbeitszimmer aus konnte ich das kleine Tal mit der Durchgangsstraße einsehen. Wieso wußte ich nichts davon?


    "Der is da fei no net lang!"


    Matthias ist wirklich ein Pfundskerl und eine erstklassige Informationsquelle für alles, was im Umland so abgeht. Und mittlerweile verstehe ich sogar (meistens), was er sagt.


    Meine Neugier wächst weiter. Die Niederschlagsmenge leider auch. Seit drei Tagen Dauerregen. Hoffentlich klart es am Wochenende etwas auf. Ich will endlich wieder fahren!


    Samstagvormittag ist das Wetter dann gut genug für einen kleinen Ausritt. Von Pegnitz aus den Berg hinauf zur Autobahn. Der Berg ist steil genug, daß der Roller wirklich nur 50 Sachen läuft. Mit dem Fahrrad bin ich auch immer froh, wenn ich oben bin.


    An der Autobahnunterführung ist die höchste Stelle, von dort aus geht es steil bergab nach Willenberg hinein. 70 km/h sind viel zu schnell für die enge Ortseinfahrt, außerdem ist rechts der Gasthof Diersch, da spielen am Wochenende die Kinder auf dem Hof. Sehr unübersichtlich, also Brrrrrremse, runter auf höchstens 40. Hinter mir ein drängelnder Autofahrer, der mal wieder nur das kleine Versicherungs-kennzeichen sieht und seinem Überholreflex nachgeben will. Glücklicherweise siegt dann doch die Vernunft. Auch mit vier Rädern sollte man hier langsam tun.


    Am Ortsende kann man das Tal weit einsehen, ich fahre schön rechts, damit der Drängler vorbeikommt. Dann Gas! Die kleine Anhöhe mit der Siedlung zwischen Willenberg und Willenreuth nehme ich mit viel Schwung, schaffe es aber trotzdem nicht, die Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 zu überschreiten.


    Macht nix. Nach Willenreuth hinein geht es dann schnurgerade bergab. Am Ortseingang wieder etwas abbremsen (gelbes Schild: "Freiwillig 30 km/h, der Kinder wegen"). Weiter über Geusmanns nach Elbersberg.


    In Elbersberg habe ich schon wieder einen Drängler hinter mir, ein alter Ford Mondeo. Allerdings geht es hier so steil und kurvig bergab zur B470, daß er sich das Überholen verkneift. Auch mit dem Auto fahre ich hier nie mehr als 60. Weiter auf der B470 geht es - immer noch kurvig und unübersichtlich - bergab bis zum Gasthof Schüttersmühle (hier kann man gut vom heissen Stein essen!). Der alte Mondeo ist noch immer hinter mir, allerdings mit etwas Abstand. Also Blinker links, Fahrbahnmitte, links abbiegen und steil bergauf nach Kirchenbirkig. Der Fordfuzzi fährt mit wachsender Ungeduld hinter mir her, während ich mit etwa 40 den Berg raufsäge ("nrrrrrr...orgelorgelorgel"). Kurz vor dem Golfplatz kann man dann die Straße etwas weiter einsehen, ich winke ihn vorbei.


    In Kirchenbirkig rechts ab, Richtung Pottenstein, Blick auf den Golfplatz. Am Gewerbegebiet Pottenstein links ab und im Tiefflug den Berg hinunter nach Siegmannsbrunn. Gas weg? Oder gar bremsen? Fehlanzeige! Die Ortsdurchfahrt Siegmannsbrunn verführt irgendwie zum Durchheizen. Sorry, liebe Siegmannsbrunner! Wenn ihr die Tiefflieger abbremsen wollt, müsst Ihr Euch was einfallen lassen. Bei Euch im Dörflein fährt keiner 50, denn kaum ist man drin, ist man schon wieder draussen.


    Kurz hinter Siegmannsbrunn fängt der Roller an zu hupfen und zu hoppeln wie Bugs Bunny. Lauter Buckel und Hubbel auf der Straße. Straße? Eher ein Flickenteppich. Wahrscheinlich die späte Rache der entnervten Siegmannsbrunner.


    Egal, nach ein paar hundert Metern hat das Gehupfe ein Ende. Danach ein kurzes Waldstück, über die Kuppe, und es beginnt das Vorfahrtspoker von Hühnerloh. Damit hat es folgendes auf sich: Nach Hühnerloh geht es hier rechts ab (Sackgasse, hier ist wirklich das Ende der Welt). Wer von Hühnerloh kommend auf die Hauptstaße will, muß Vorfahrt achten. Viele tun das auch, aber einige warten, bis jemand kommt (man kann vom Abzweig Hühnerloh die Straße in beide Richtungen relativ weit einsehen), schätzen dessen Geschwindigkeit falsch ein und fahren erst im letzten Moment. Manche haben Ihre Technik dergestalt verfeinert, daß derjenige, der auf der Vorfahrtsstraße aus Richtung Siegmannsbrunn kommt, beim Abzweig Hühnerloh eine fette Vollbremsung hinlegen muß. Als ich diese Strecke noch täglich mindestens einmal mit dem Auto gefahren bin, ist mir das oft genug passiert. Glücklicherweise ist Hühnerloh ein klitzekleines Kaff (wer möchte auch schon in einem Ort wohnen, der Hühnerloh heißt!), so daß es insgesamt nicht viele gibt, die diesen Sport ausüben. Wie damals mit dem Auto stoße ich aber auch heute einen Seufzer der Erleichterung aus, als ich am Abzweig Hühnlerloh vorbei bin.


    Weiter geht's nach Birkenhain. Birkenhain? Eigentlich wäre der Name Fliegenhain angebrachter. Beim letzten Mittagessen im dortigen Gasthof habe ich mein Essen gegen einen Schwarm Fliegen verteidigen müssen. Na gut, das kann einem auf dem Lande immer passieren, aber hier war es besonders schlimm. Nie wieder!


    An der nächsten Kreuzung überlege ich kurz, ob ich rechts abbiege nach Bösenbirkig und auf dem Pilgerpfad nach Gößweinstein hineinfahren soll. Dort gibt es ein sehr schönes Panorama, auch wenn man zu Fuß über den Hügel gestiefelt kommt, eröffnet sich ganz plötzlich ein traumhafter Blick ins Tal. Allerdings ist dies ein Fußweg, demnach für Rollerfahrer verboten. Außerdem sind die Eingeborenen in Bösenbirkig eher feindselig, daher auch der Ortsname.


    Ich fahre also brav weiter geradeaus, den Berg hinab und geradewegs nach Gößweinstein rein.


    Gößweinstein ist
    - ein malerischer Ausflugsort mitten in der Fränkischen Schweiz und ein lohnendes Ausflugsziel mit einer bekannten Wallfahrtskirche (aus der Perspektive des Besuchers)
    oder
    - ein nerviges Tourisenkaff am A... der Welt, das sich jedes Wochenende in ein übervölkertes Altersheim verwandelt (aus der Perspektive eines zugereisten Einwohners)
    Ich habe beide Aspekte zur Genüge erlebt. "Weißt du übrigens, daß Du dort im heiligen Land lebst?" hatte mich ein Bekannter gefragt, als ich noch dort wohnte. Ja ich weiß es. So heilig, daß die evangelische Kirchengemeinde dort quasi nicht existent ist.


    Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Wo ist jetzt der Simson-Heini? Ich biege am Ortseingang links ab zur Tanke. Tatsächlich, da ist er. Dem gehört offenbar jetzt die Tankstelle (zu meiner Zeit residierte dort noch der Mazda-Händler von nebenan). Vor der Tür steht irgendein Spaghettikocher und ein ausgenudeltes Mountainbike im Fahrradständer.


    Durch das Fenster sehe ich etwas, was spontan mein Interesse weckt. Da drinnen steht ein SRA 50, so ein blaues Schaukelpferdchen wie das, auf dem ich hier hergeritten bin. Schau an!


    Genau das mache ich auch, und dabei trifft mich fast der Schlag! Das Schaukelpferdchen (Kilometerstand 00005) soll schlappe 2250 Flocken kosten. Au weia.


    Ich schleiche noch ein bisschen durch den Laden. Da steht noch ein Spatz und irgendeine Enduro. Und aus einem Prospektständer grinst mich ein Zubehörkatalog an. Stand Juni 2001. Nun gut, denke ich mir. Wenn ich schon mal da bin...


    "Ich suche einen Gepäckträger für meinen SRA 50." erkläre ich dem freundlichen Herrn hinter dem Tresen. Im Moment habe ich einen blauen Bügel, der mit vier Schrauben befestigt ist (hoffentlich am Rahmen). Ziemlich dekorativ ist er. Und wie gesagt schön blau. Zum Gepäcktransport taugt er nicht. Höchstens zum dran festhalten und drüber freuen. Weil er doch so schön blau ist (ich glaube das erwähnte ich schon). Oder zum drüber ärgern, weil er halt nicht zum Gepäcktransport taugt.


    "Ja, da gibt es einen Topcase-Halter..."


    Nee, Topkäse will ich nicht!


    "... aber den können Sie auch als Gepäckträger nehmen. Leider ist der im Moment nicht lieferbar."


    Na gut. Ich bin zwar nicht so ganz überzeugt, aber immerhin kann man ja mal fragen, wieviel dieser Topcase-Gepäckträger wohl kosten würde, wenn er denn lieferbar wäre...


    "Naja, also damals hat er etwa 150 Mark gekostet..."


    Ost oder West? denke ich mir. Aber eine solche Zwischenfrage wäre wohl kontraproduktiv.


    "... also können Sie jetzt mit ca. 80 Euro rechnen."


    Ich bedanke mich artig für die Auskunft. Der gute Mann grinst freundlich, knallt mir einen Händlerstempel auf den Zubehörkatalog, ich lasse letzteren in meinen Rucksack wandern, und schon bin ich wieder draussen.


    Mein Vertrauen in diesen Topkäse-Halter, den man auch als Gepäckträger benutzen (zweckentfremden?) kann, ist nur sehr begrenzt. Zu teuer und zu häßlich. Dann eben ohne.


    Ich schwinge mich etwas mißmutig auf mein Schaukelpferdchen und trete den Heimritt an. Diesmal aber nicht am Abzweig Hühnerloh vorbei (von Gössweinstein kommend macht das Vorfahrtspoker keinen Spaß!), sondern schon oben an der nächsten Kreuzung rechts ab nach Sachsendorf und auf Umwegen Richtung Siegmannsbrunn. Eine traumhafte Strecke, kein Auto unterwegs, nur die Straße, der Roller und ich. Es ist Anfang Mai, der Buchenwald zeigt sich in zartem Grün, das die Strahlen der Abensonne filtert. Eigentlich habe ich es überhaupt nicht eilig, ich bremse auf Fahrradgeschwindigkeit herunter und lasse den Roller langsam vor sich hintuckern.


    Als ich in Siegmannsbrunn ankomme, hat sich meine Laune merklich gebessert. Ich beschließe, für den Rest des Heimritts eine andere Strecke zu nehmen. Vom Gewerbegebiet Pottenstein geht es steil bergab ins Püttlachtal, über die Bundesstraße und in den Ort Pottenstein hinein. In der engen Ortsdurchfahrt fällt mir auf, daß sich die Fußgänger nach mir umdrehen. Und zwar immer wenn ich Gas gebe. Das mag wohl daran liegen, daß der Motor doch recht laut ist (ohne Manipulationen, ehrlich!). Aber das hat auch seine Vorteile. So brauche ich keine Hupe, um die Fußgänger von der Straße zu scheuchen. Die Hupe schafft es sowieso kaum, das Gebrüll des Motors zu übertönen. Eigentlich brauche ich sie gar nicht. Sollte ich irgendwann einmal beschließen, das Schaukelpferdchen zu verkaufen, könnte die Anzeige etwa so lauten: "Simson SRA 50 BJ '99, 48 TKM, Hupe neuwertig..."


    Nach Pottenstein geht es weiter Richtung Haselbrunn (dort war lange Zeit das Wolpertinger-Museum, leider ist es jetzt geschlossen). Vor Haselbrunn aber rechts ab Richtung Prüllsbirkig/Mandlau. Zunächst wieder durch ein Waldstück mit solch unwirklichen Lichtverhältnissen, daß ich anhalte und diese zauberhafte Atmosphäre eine Weile auf mich wirken lasse. Der Rest der Strecke ist ähnlich malerisch. Von Prüllsbirkig über Oberhauenstein nach Körbeldorf ist die Kulisse wirklich traumhaft und durchaus vergleichbar mit dem Allgäu oder dem Schwarzwald. Na gut, dort sind die Berge vielleicht etwas höher. Aber schön ist die Fränkische Schweiz allemal.


    Während ich so fahre, überlege ich mir was eigentlich die Faszination an der ganzen Sache ausmacht. Warum fühle ich mich auf diesem blauen Schaukelpferdchen wie Dennis Hopper auf seiner Harley? Oder wie Werner auf seiner Horex? Die Antwort ist schnell gefunden. Ich habe mich infiziert. Mit akuter Simsonitis.

    Variomatik ist geil. Schaltung ist geiler!

  • ivanhoe,


    schön geschrieben! Super Schilderung!


    Vor allem ist die Umgebung ja wirklich soooo traumhaft schön, wie Du schreibst. Ich war da Anfang der 90-er Jahre einige Male im Kurzurlaub. Zum Beispiel zu Ostern - herrlich geschmückte Brunnen.


    Und einige aus meiner Familie fahren mindestens zweimal im Jahr zu einem Kurztrip in die fränkische Schweiz.


    Quacks der ältere

  • vielen dank für den schönen bericht. ist gut, wenn man zwischendurch in der frühstückspause mal was zum schmunzeln hat :)


    mfg
    fön

  • genau, in einer sehr schönen gegend liegt dieses am wochenende überfüllte altersheim.*g*
    ich war übrigens auch schon dort. wenn damals nicht tatütata die bremse reingehauen hätte wäre ich dran vorbeigeschossen. er war es auch der das posting im nest angesetzt hat.


    sagmal ivanhoe, biste auch den schnuckeligen berg hochgefahren? ich habe den nur im ersten uns auf den letzten metern mit schleifender kupplung geschafft.

  • OPI


    Du meinst den von Behringersmühle nach Gößweinstein rauf?


    Nein, das habe ich mir verkniffen:)


    Früher mal bin ich den öfters mit dem Fahrrad gefahren, aber nur von unten nach oben, abwärts darf man nicht. Ich weiß gar nicht, ob ich mit meinem Schaukelpferdchen da hochkäme.


    Ich werde es bei Gelegenheit mal versuchen (ich Wahnsinniger) und werde das Ergebnis dann hier bekanntgeben.


    Aber hast schon recht, an Strassen ist das so ziemlich das Steilste, was die Fränkische Schweiz zu bieten hat.


    Gruß
    Hendrik

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  • Zitat


    Original von Baumschubser:



    Wie war das mit der Überbreite?:D :D :D



    he schubserle, wenn du wüsstest was das für ne steigung ist... aber komm du erst mal in mein alter *g*


    ivanhoe: geneu die steigung meine ich. mitm rad bist du da hoch?? hut ab. kannst du mir sagen was der für ne steigung hat? runter würde ich den auch nicht fahren wollen. die angst dass die bremsen versagen wäre zu groß.

  • Opi, das mit dem Fahrrad war früher, ist auch schon mindestens zehn Jahre her. Bei der Gelegenheit habe ich auch festgestellt, daß Alkohol auf dem Drahtesel absolut kontraproduktiv ist. Schon nach einem halben Radler (1/2 Liter) habe ich diesen Berg eben nicht mehr geschafft. Und überhaupt weiss ich nicht, ob ich das jetzt noch packen würde. Man wird halt alt;)


    Baumschubser
    Überbreite ist gar nicht nötig. Der Berg ist so steil, daß ich ihn mit dem Auto im zweiten Gang runterfahre. Und auch dann muss ich noch auf die Bremse treten, denn 60 ist mir da zu schnell?(


    Nachtfalke
    Schaukelpferdchen hat vorne 'ne Scheibenbremse. Aber trotzdem habe ich irgendwie Bammel, da runterzufahren. Eben wegen Werner und der zerteilten Bremse:rolleyes:


    Gruß
    Hendrik

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    • Offizieller Beitrag



    War ja auch mehr als Joke gemeint. Wobei es mich trotzdem erstaunt, dass es normale Straßen gibt, die so steil sind, dass man nicht mal im 1. Gang hochkommt. Dass man an bestimmten Steigungen nur äußerst schwer anfahren kann, ist mir ja noch klar, aber schleifende Kupplung??? Wieviel % sind denn das, die man dann nicht mehr im 1. Gang schafft?

  • Zitat


    Original von simmiopi:
    ich denke so 21% wenn ich falsch liege dann berichtigt mich


    Du liegst genau richtig. Bei der Deutschlandtour ging eine Etappe an Gößweinstein vorbei, da sind Jan Ulrich und Konsorten tatsächlich runtergefahren. In der Zeitung stand auch etwas von 21%


    Ich bin an Pfingsten da mal hochgefahren, nur um zu sehen, ob Schaukelpferdchen das schafft. Oben am Minigolfplatz war ich runter auf 20 km/h (bei konstant Vollgas)!


    Fazit: Wenn du diesen Berg schaffst, kommst Du überall hoch.


    Gruß
    Hendrik

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