Bremse

Unterschiede bei Einzelkomponenten

Die drei Hauptkomponenten der Simson Standard Trommelbremse mit 125mm Nennduchmesser werden in verschiedenen Versionen angeboten:

Ankerplatte

Die Ankerplatten sind grundlätzlich gegeneinander austauschbar. Lediglich die vorderen Ankerplatten der Telegabelmodelle passen nicht in Vollschwingenmodelle. Es gibt Ankerplatten mit innenliegendem und aussenliegendem Bremshebel. Zu Produktionsbeginn der Vogelserie hatten beide Bremsen innenliegende Bremshebel. Später (wann?) wurde die Hinterradbremse auf aussenliegenden Hebel umgestellt. Erst mit Erscheinen des S50 1975 erhielt auch die Vorderbremse der Telegabelmodelle einen aussenliegenden Bremshebel. Bei der Schwalbe blieb es bis zum Produktionsende beim innenliegenden Bremshebel vorn. Die hintere Ankerplatte gibt es auch ohne Bremslichtkontakt, diese war in Vorderbremsen des DUO 4/1 verbaut.

Trommel

Die Bremstrommel ist auch gleichzeitig die Radnabe. Original ist die äußere Oberfläche eine nicht weiter nachbearbeitete Druckgussoberfläche. Zwecks sauberer Optik wird verschiedentlich angeboten, die Trommel aussen abzudrehen. Grundsätlich ist dagegen nichts einzuwenden, solange die drei Rippen in der Mitte der Trommel dabei nicht entfernt werden. Diese dienen zum Einen der Wärmeabfuhr, zum Anderen der Stabilisierung der Trommel. Bei starker Belastung und entfernten Rippen kann sich die Trommel tonnenförmig verziehen.

In die Alutrommel ist als Lauffläche der Bremsbacken ein Ring eingelegt. Diesen gibt es entweder in Stahl- oder Graugussausführung. Die Graugussringe sind daran zu erkennen, dass sich selbst auf penibel gereinigten Teilen ein Papiertuch, dass über den Bremsring gerieben wird, schwärzt. Vermutlich wurde bei Simson original Stahl verwendet, während die Nachfertigungen scheinbar durchgängig mit Grauguss Bremsringen ausgestattet sind (Es sind schon mehrheitlich Trommeln aufgetaucht, die das Testpapier färbten obwohl nicht explizit mit Graugussring geworben wurde).

Der Graugussoberfläche sagt man nach, das sie besser bremsen würde. Allerdings empfiehlt es sich, die Bremsbeläge beim Trommelwechsel mit zu tauschen, da die alten Originalbeläge nicht für den höheren Kohlenstoffanteil (selbstschmierend!) im Grauguss ausgelegt sind, was sich durch eine verminderte Bremsleistung bemerkbar macht.

Backe(n)

Die originalen Backen haben, je nach Baujahr, entweder eine weiße, rote oder braune Färbung. Alle diese Beläge sind asbesthaltig! Aufgrund der Gesundheitsgefahr sollte man bei Arbeiten an solcherart bestückten Bremsanlagen einen Atemschutz tragen und den Staub möglichst nass, also z.B. durch ein mit Bremsenreiniger getränktes Tuch, entfernen.

Es sind verschiedene Nachfertigungsbeläge im Umlauf, von denen einige als "Sport" bezeichnet werden. Diese sind geschlitzt, was primär den Sinn einer verbesserten Staubabfuhr aus der Reibstelle hat. Da die Simson-Bremsen aufgrund ihrer recht starken Kapselung ihren Abrieb meist sowieso für sich behalten hat dies wenig Sinn. Der Staub verbleibt ja ohnehin in der Trommel. Die Beläge der Firma EBC haben sich, trotz kleineren Passungsproblemen, denen man mit der Feile schnell Abhilfe schaffen kann, als beste Neubeläge sowohl für Stahl- als auch GG-Trommeln herauskirstallisiert.

Funktionsweise

Von Simson wurden ausschließlich Simplex-Trommelbremsen mit mechanischer Betätigung über eine Nockenwelle verwendet. Wer einen Blick über den Tellerrand riskieren will, findet in der wikipedia alternative Konzepte. In der Wikipedia möge sich auch Jeder kurz schlau lesen, der nicht sicher weiß was eine Kraft und was ein Drehmoment ist. Das Basisbild für die Grafiken wurde von simson-und-co.de zur Verfügung gestellt.

Bremsebunt.jpg

Auf der Bremsankerplatte finden sich der Bremsnocken (gelb), die zwei Bremsbacken (blau und lila) sowie die Rückstellfeder (grün) und die Lagerbolzen der Bremsbacken (rot). Über die Handkraft und den Bremshebel am Lenker wird auf den Bremszug eine Zugkraft ausgeübt, welche dann über den innen- oder aussenliegenden Bremshebel an der Ankerplatte ein Drehmoment auf die Bremsnockenwelle ausübt. Halten wir bis hierhin fest: Je länger die Hebelwege am Lenker und an der Ankerplatte, und je geringer die Reibung im Seilzug, desto größer ist dieses Drehmoment.

Auf dem untenstehenden Bild ist die Situation an der Vorderbremse eingezeichnet. Der Übersichtlichkeit halber wurde ausser Bremsnocken und Bremsbacken alles wegretuschiert. Der schwarze Pfeil gibt die Umlaufrichtung der Bremstrommel an: Bremsekinematik.jpg

Der Bremsnocken verdreht sich und drückt dadurch die Backen auseinander (Kraftpfeile und resultierende Drehung um den Lagerbolzen in rot), welche sich an die Bremstrommel anlegen und somit bremsen. Hier liegt der Teufel gleich doppelt im Detail: Obwohl der Bremsnocken symmetrisch ist und sich beim Bremsen in beide Richtungen gleich weit bewegt, werden die Bremsbacken nicht gleich weit bewegt. Das liegt daran, dass der Nocken die Backen an verschiedenen Stellen berührt (siehe Bild, die schwarzen Striche stellen die unterschiedlich langen Hebelarme dar). Es gibt also eine Bremsbacke, die mehr Weg macht, deswegen eher anliegt und dadurch auch den Hauptanteil der Handkraft abbekommt. Auf dem Bild ist dies die linke. Je weiter der Bremsnocken sich verdreht, desto größer wird der Wegunterschied. Aus diesem Grund sollte bei steigendem Verschleiß so bald wie möglich mit Zwischenlagen unterfüttert werden, anstatt den Nocken einfach weiter zu verdrehen.

Darüberhinaus unterscheidet man bei einer Simplexbremse zwischen der auflaufenden Bremsbacke und der ablaufenden Bremsbacke. Die auflaufende Backe ist diejenige, bei der die Trommel in Drehrichtung erst am Nocken und dann am Lagerbolzen vorbei kommt, im Bild oben lila eingefärbt.

Wird eine Backe gegen die Trommel gedrückt, entsteht durch die Reibkräfte zwischen Belag und Trommel eine Kraft, die die Bremsbacke entsprechend des Drehsinns der umlaufenden Trommel mitnehmen möchte. Diese Kraft und die daraus resultierende Drehung der Backe um den Lagerbolzen ist in grün eingezeichnet.

Man sieht, dass an der auflaufenden Bremsbacke das Drehmoment aus der Betätigungskraft (rot) und das Drehmoment aus der Reibkraft (grün) gleichsinnig sind. Diese Bremsbacke ist in ihrer Wirkung also selbstverstärkend. Dementsprechend verhält es sich bei der ablaufenden Bremsbacke genau anders herum. Deswegen kommt ca 70-75% der Bremsleistung nur von der auflaufenden Backe.

[Um die Grafiken möglichst übersichtlich zu gestalten und um Nicht-Mechaniker nicht mit allzuviel Fachchinesisch zu überfordern, habe ich, mechanisch gesehen, ein paar Abkürzungen genommen. Der geneigte Mechaniker möge das so hinnehmen und nicht mir vorwerfen, dass ich unsauber argumentiere, sondern sich selbst fragen warum er erst diesen Artikel lesen musste um die Bremse zu verstehen...]

Wartungsarbeiten

Mit steigendem Verschleiß werden die Beläge immer dünner und der Leerweg des Hebels wird immer länger. Ist der Hebel auf Anschlag, bevor die maximale Bremsleistung erreicht ist, muss der Bowdenzug nachgestellt werden. Ist dies nicht mehr möglich, kann man als Schnellmaßnahme einen eventuell vorhandenen aussenliegenden Bremshebel um einen Zahn versetzen. Dies ist jedoch möglichst schnell wieder rückgängig zu machen und der Verschleiß mittels Zwischenlagen (gibt es in 1, 1.5 und 2mm Stärke) auszugleichen. Tut man dies nicht, arbeitet sich der Bremsnocken auf Dauer in die Bremsbacke ein. Diese verklemmt sich dann irgendwann, bevorzugt wenn man es gerade nicht brauchen kann, so wie z.B. bei ausbrechendem Heck auf nassem Kopfsteinpflaster...

Speziell bei der kapriziösen Vorderbremse mit innenliegendem Hebel ist ein möglichst reibungsarmer Bowdenzug Gold wert. Deshalb regelmäßig schmieren! Bei innenliegendem Bremshebel braucht man dafür viel Fingerspitzengefühl, da überschüssiges Öl direkt in die Trommel läuft.

Wie bereits weiter oben erwähnt, ist die natürliche Staubabfuhr aus der Trommel äußerst gering. In regelmäßigen Abständen sollte man die Bremse daher ausstauben. Achtung, möglicherweise ist der Staub asbesthaltig! Intervalle zum Abschmieren und Ausstauben sind schwer anzugeben, da diese von der Fahrweise und Art der Schmierung abhängen. Aufgrund der asymetrischen Kraftverteilung in der Bremse nutzen die Beläge sich nicht gleichmäßig ab. Es kann sinnvoll sein, die Positionen der Backen zu tauschen (siehe dazu weiter unten).

Eine frisch gereinigte Bremse kann beim Zusammenbau an der Lagerstelle des Bremsnockens und dort, wo die Bremsbacken auf dem Nocken gleiten, eine SEHR SPARSAME Schicht eines temperaturbeständigen Schmiermittels (z.B. Kupferpaste) vertragen.

Einstellung

Sofern die Bremse einen aussenliegenden Hebel hat, sollte der Bowdenzug / Die Zugstange einen 90° Winkel mit dem Hebel bilden, wenn die Bremse greift. Dadurch wird die effektive Hebellänge maximal und die Bremse hat weniger Kraftbedarf. Der eventuell vorhandene Bremslichtkontakt wird am leichtesten bei ausgebauter Bremse eingestellt. Dazu zeichnet man sich im Eingebauten Zustand ein, bei welcher Hebelstellung die Bremse greift. Nach der Demontage verstellt man den Exzenter (Kontermutter lösen und verdrehen) so, dass in der Leerstellung kein Kontakt hergestellt wird und in betätigter Stellung durchkontaktiert wird. In dieser Einstellung wird der Exzenter wieder gekontert.

Ursachen für schlecht ziehende Vorderbremse

Die stark unterschiedliche Bremswirkung von hinterer und vorderer Bremse ist bei Simson schon konstruktionsbedingt: Aufgrund dessen, dass die Ankerplatte hinten links eingebaut ist, bekommt die auflaufende Backe mehr Weg von der Nockenwelle und zusätzlich über den längeren Hebelweg des aussenliegenden Hebels noch mal mehr Kraft ab. Vorne hingegen kommt dank innenliegendem Bremshebel schon wenig Kraft an, welche dann auch noch wegen des Einbaus von rechts "falsch herum" verteilt wird: Die ablaufende Backe ist diejenige, die mehr Weg macht. Dies wird auch deutlich, wenn man eine schlecht ziehende Vorderbemse mal beim rückwärts Rollen betätigt. Die Bremsbacken tauschen bei Rückwärtsfahrt die Rollen als auflaufende bzw ablaufende Backe und plötzlich packt das müde Bremseleinchen überraschend gut.

Wenn alles passt, also die Beläge vollflächig anliegen und die Bremse gereinigt ist, ist die Bremswirkung auch mit Originalkonfiguration recht passabel. Die Vordrebremse reagiert aber auf Verschleiß deutlich empfindlicher als das hintere Exemplar, welches einen schlechteren Zustand der Innereien einfach mit mehr Kraft wettmachen kann.

Bremsentuning

Um der Bremsleistung der Vorderbremse auf die Sprünge zu helfen, gibt es verschiedene Mittel. Dabei gilt jedoch immer: eine stark eiernde Trommel kann meist nicht mehr ausgedreht werden und muss getauscht werden. Mit einer stark eiernden Trommel kann man sämtliche gute Bremsleistung vergessen, weil man den Bremszug mit unnötig viel Leerweg einstellen muss.

Tragbild optimieren

Die zeitraubendste und wichtigste Maßnahme! Man baut die Bremse aus, rauht die Belagflächen mit Schmirgelpapier an bis sie matt sind. Dann Bremse einbauen, Achse anziehen (!), das Rad drehen und die Bremse betätigen. Bremse wieder ausbauen. Diejenigen Stellen, die getragen haben, treten glänzend hervor. An dieser Stelle wird Material per Feile oder Schleifmaschine vom Bremsbelag abgenommen. Jetzt die Bremse wieder einbauen und das Tragbild erneut kontrollieren. Das macht man so lange, bis die Bremse rundherum flächig anliegt. Dabei unbedingt eine Staubmaske tragen, der Staub ist lungengängig! Oft muss man recht viel abnehmen, sodass sich der Gebrauch einer Schleifmaschine empfiehlt.

Konstruktionsfehler korrigieren

Man kann den Bremsnocken so bearbeiten, dass die "Bevorzugung" der ablaufenden Backe aufgehoben wird. Wer hierzu die Feile schwingen möchte, dem sei als Tip mit auf den Weg gegeben, dass man sich die Betätigungsfläche einer Bremsbacke mit Schleifpapier bekleben kann. Wird die Bremse dann zusammengesetzt und im ausgebauten Zustand per Hand betätigt, schleifen sich die durchs Feilen entstandenen Ungenauigkeiten von alleine heraus. Vor dem Einbau ins Möff muss das Schleifpapier natürlich wieder raus! Wer diese Maßnahme durchführen will, optimiert das Tragbild sinnigerweise erst hinterher.

Ausserdem gab es bei späten Exemplaren des DUO 4/2 eine auch vorne links liegende Ankerplatte. Somit wird der Fehler in der Betätigungsgeometrie korrigiert. Dies wurde mithilfe eines Adapterblechs erreicht, das man sich auch relativ einfach selbst anfertigen kann. Nachteil ist die daraus resultierende, etwas krude Verlegung des Bremsbowdenzugs.

Anfangs trägt nach einer solchen Maßnahme meist nur die auflaufende Backe, wodurch die Bremswirkung exorbitant größer ist als vorher. Durch ihre alleinige Beanspruchung nutzt sie sich aber auch relativ schnell so weit ab, dass auch die ablaufende Backe wieder anliegt. Die Bremsleistung normalisiert sich dann. Bei weiterer Benutzung verschleißt die auflaufende Backe immernoch stärker als das ablaufende Pendant, sodass es nach einiger Zeit sinnvoll ist, die Backen umzudrehen.

Umbau auf S50-Konfiguration

Ein komplett aussenliegender Bowdenzug ist alleine schon deshalb, weil man beim Abschmieren großzügig sein kann, sinnvoll. Durch den längeren Hebelweg des aussenliegenden Hebels kann zudem bei gleicher Handkraft und mehr Handweg mehr Kraft auf die Bremsbacken aufgebracht werden. Dadurch mildert man den Fehler in der Vorderbremse etwas ab. Das haben auch die Konstrukteure bei Simson eingesehen und dem S 50 auch vorne eine aussenliegende Bremsbetätigung spendiert. Dank Telegabel past dies aber nicht 1:1 in ältere Vogelseriemodelle. Für den Umbau eines Vogelseriemodells (mit langer Schwinge, also alles ausser Spatz) benötigt man:

  • Eine zweite hintere Bremsankerplatte (bzw. eine mit aussenliegendem Bremshebel)
  • Bremshebel vorne vom S 50 / S 51
  • Kupplungszug vom SR 50
  • Idealerweise eine längere Bowdenzugstellschraube für MZ-Amaturen (M6x30, Simson hat nur M6x22) - mit dieser hat man die Möglichkeit, den Hebel so einzustellen dass der Winkel zum Bowdenzug 90° beträgt.

Dass das nicht original ist fällt nicht auf, weil der Aufbau komplett aus Originalteilen erfolgt. Aus dem selben Grund haben einige User diesen Umbau auch ohne größere Probleme eingetragen bekommen.

Umbau auf größere Trommel

Es ist mit einigen Anpassungsarbeiten möglich, eine größere Trommel einzuspeichen. Totoking und TO haben dies gemacht, Totokings Umbau ist sogar eingetragen. Den Umbauthread gibt es hier und ein Video von TO's Bremse hier.

Schlusswort

Wer aufmerksam mitgedacht hat, wird nun fragen: "Wenn das alles so stimmt, ist bei einer Simplexbremse die ablaufende Backe doch zu gar nichts gut, warum lässt man sie nicht einfach weg?" Erstens empfiehlt es sich für Anfahrten an einer steilen Steigung, noch eine Bremse zu haben, die entgegen der normalen Fahrtrichtung eine auflaufende Backe hat. Darüber hinaus muss man die Feder irgendwo einhängen. Schlussendlich stellt die einseitige Bremskraft bei nur einer Backe eine große Belastung für die Radlager dar.