Oktober 2011 Berlin - Dresden - Prag - Leipzig - Berlin

  • 3 Stunden nach der Abfahrt sitze ich immer noch etwas durchfroren im Restaurant "Zum Stadtgraben". Zwei Kinder bekommen gerade von ihrer jugendlich aussehenden Oma gesagt, dass etwas Gemüse sein müsse und das Mittagessen nicht nur aus Eis bestehen könne. Mein Mittagessen, eine riesige Portion Nudeln mit Pfifferlingen wärmt mir schon die Körpermitte und bei einem Pott Kaffee stellt sich das wohlige Gefühl der Behaglichkeit ein. Wo bin ich? In Lübben im Spreewald. Nach zweieinhalbstündiger Fahrt bin ich hier ankommen. Mein Schwälbchen steht an einem Fahrradständer angekettet um die Ecke und erholt sich von den ersten 110 km unserer Herbstausfahrt. Auf den ersten 10 Kilometern hätte es zweimal fast gescheppert, da bei der ganzen Reiseeuphorie die Augen überall waren, nur nicht auf den Bremsleuchten des Vordermanns. Ganz schön kalt ist es bei 10 Grad, da hilft auch der spärliche Sonnenschein nicht, der sich mühsam durch die schwarzgrauen Wolkenfetzen kämpft. Mein Schwälbchen hält sich bislang hervorragend, auch wenn es etwas langsamer läuft, was wohl an dem höheren Luftwiderstand meiner Ortlieb-Gepäckrolle liegt. Apropos Gepäckrolle: Hier hatte der erfahrene Falk natürlich recht: Es ist nicht leicht, sie richtig mittig auf den Gepäckträger zu platzieren, eine Seite ist immer zu schwer und etwas hecklastig ist meine Schwalbe jetzt auch geworden. Der Lenker pendelt ganz schön. Aber riesig ist sie schon, diese Rolle. Heute morgen war ich doch versucht, etwas mehr einzupacken, als meinem minimalistischen Anspruch entspricht. Bademantel und Schlafanzug blieben aber dann doch zu Hause, aber mein IPad durfte mit, schreibt sich echt gut drauf. Mein IPhone wird gerade von der freundlichen Bedienung hinter der Theke wieder aufgeladen. Das ist auch nötig, denn diese Navigon-App frisst doch ganz schön Power, wenn es mich mit dieser verführerischen Frauenstimme von Wegepunkt zu Wegepunkt dirigiert. Allerdings überlege ich mir meine ursprüngliche Planung etwas abzuändern, denn 350 km erscheinen mir doch etwas zu ambitioniert. Auf der anderen Seite läuft es schon ziemlich gut, seit ich die Großstadt Berlin hinter mir gelassen habe und über nahezu leere Bundesstrassen rausche. Der Spreewald scheint recht dünn besiedelt zu sein, wie es sich für einen Wald ja auch gehört. So, die Schnitzel mit Gemüsebeilage für den Nachbartisch mit den kleinen Gästen sind gleich fertig. Auch ich bin wieder aufgewärmt und bereit für die nächste Etappe. Wollte jemand noch etwas zu Lübben wissen? Nein? Gut, ich auch nicht. Weiter geht's. Die Rechnung bitte.

  • 2,5 Std für 110km ist absoluter Standardwert, zumal sicherlich auch ein beträchtlicher Teil Stadtgebiet dabei war? Ich hab die Erfahrung gemacht das man in Berlin vom Hbf bis zum südlichen Stadtrand schonmal ne Stunde oder mehr brauch.
    Die Kälte könnte tatsächlich ein Problem sein, wichtig ist das die zweite Etappe ordentlich lang ist, über 150 km sollten es schon sein, dann ist der Rest quasi ein Selbstläufer, auch oder gerade wenn es schon dunkel wird. Aber der Tip kommt jetzt vermutlich eh zu spät und du bist schon wieder "on the road" ;)

    R.I.P. Ronny, nur die Besten sterben jung!

  • Hallo Superkrani, ich wünsche euch immer gutes Wetter (kein Wind/ Regen) und leere Strassen. Mir persönlich ist das Wetter für die Strecke dann doch etwas zu kalt. Aber immer dran denken der Weg ist das Ziel wobei ihr euch mit 350 Km doch ein wenig viel vorgenommen habt zumal ja die Sonne immer früher untergeht. Hoffe ihr kommt heile wieder an, das ist erst mal das wichtigste.


    Freue mich schon auf die Berichte.

  • Ja, anscheinend vertragen sich mein IPad und die Blogfunktion nicht so richtig, deshalb geht es jetzt hier weiter mit meinem Reisebericht. Ich fahre gerade die Elbe entlang. Nach einem Tankstopp in Dresden (ja, wieder das gute Excellium) und einem Luftdruckcheck bin ich jetzt über Pirna an der tschechischen Grenze angekommen. Zar habe ich erst 60 km auf der Uhr, aber ich wollte dann do h noch meine deutsche Flatrate für einen kleinen Update nutzen - und kalt ist es immer noch, daran wandert auch die gestern in Dresden erworbene Funktionsunterhose nichts. Also Sitze ich in der Bibliothek eines netten Hotels im letzten deutschen Grenzort. Die Fahrt an der Elbe entlang ist herrlich. Viele Kurven, moderate Steigungen und einige Abfahrten, die meine Schalbe jubelnde 70 auf der Uhr haben fahren lassen. Immer wieder sieht man die Elbe, überquert sie, steigt etwas in die Höhe und hat einen tollen Blick auf das Elbsandsteingebirge. Als Niederrheiner fühle ich mich etwas an das Rheintal erinnert. Hier macht das Schwalbefahren so richtig Spass. Man kann sich in die Kurve legen, an Ampeln den stehenden Verkehr mal eben überholen und das Auge bekommt etwas geboten. So kann es weitergehn, denn heute soll es ja noch noch bis nach Prag gehen.

  • Gerade ist die Sonne rotgolden über Prag untergegangen und selbst von meinem Hotelfenster konnte ich die pittoresken Turmspitzen Prags bewundern, die diese Stadt so einzigartig machen. Ich fühle mich dann immer wie in einem Vampirfilm. Es ist ein bisschen wie dieser Gotham-Look in den Batman Filmen, aber hier ist er echt. Momentan schlürfe ich meinen Welcome Drink in der Hotellobby, ein Extra, wenn man über HRS bucht. Ich hatte mit eiinem labbrigen Apfelsaft gerechnet und hatte dann freie Auswahl. Mir gegnüber sitzt ein italienisches Pärchen. Er etwas übergewichtig im karierten Hemd und Basecap in seiner grossen Pranke, Sie hingegen ist ganz die elegante Italinerin, kantige Gesichtszüge und ein gepflegtes Äußeres, wie man es von den römischen Damen kennt. Auf bella figura machen, nennen die Italinener das. Irgendetwas bewegt die beiden, sie unterhalten sich sehr angeregt. Aber das muss nichts heißen, denn Italiner reden immer so. Jetzt lehnt er den Kopf zurück und schließt die Augen und sie checkt ihre Emails auf ihrem Smartphone. Das gibt mir Gelegenheit, den heutigen Tag Revue passieren zu lassen.


    Nach meinem letzten Halt vor der tschechischen Grenze machte ich mich unter dem wohlwollenden Blicken eines Urlauberpärchnes wieder auf den Weg gen Prag. Eine Grenzkontrolle gibt es ja gottseidank nicht mehr, aber das Grenzhäuschen stand noch da. Eine deutscher Polizeibully stand dort und eine Gruppe deutscher Polisistinnen und Polizisten standen im Kreis und unterhielten sich so angeregt, dass sie meine gelbe Schwalbe und mich keines Blickes würdigten. Meine Aufmerksamkeit wurde von jetzt an auch ganz von dem Strassenzustand in Anspruch genommen, denn die Strassen wurden deutlich schlechter. Waschkorbgrosse Schlaglöcher und meterlange Rillen, die so breit wie ein Schuh sind, durchziehen die Fahrbahn. Auch heruntergestürzte Teile des Elbsandsteingebildes werden erst einmal abgesperrt, bevor sie irgendwann einmal weggeräumt werden. Am Strassenrand ist jedes verfügbares Gebäude in einem Abstand von 500 Metern ein Nachtclub, die allerdings bereits um 10 Uhr öffnen, wie es ihre Werbeschilder einem in anschreierischer Pose künden.


    Mangels Internetanbindung funktioniert meine Navigon-App nicht und ich muss doch wirklich wieder nach Karte fahren. Das ist schon ein Rückschritt, hatte ich mich doch daran gewöhnt, durch meine Ohrkopfhörer immer die aktuellen Fahrhinwiese zugesäuselt zu bekommen. Nun gut, jetzt höre ich halt nur noch Musik und manchmal nutze ich auch die Stummfunktion, um meinen kleinen 50ccm Motor vor sich hinkreischen zu hören. Nachdem ich gestern, am ersten Tag, etwas unzufrieden mit der Endgeschwindigkeit meiner Schwalbe war, besteht heute kein Anlaß für Meckereien. Der Zeiger des Tachos zittert nahezu die ganze Zeit über der 60 km/h Marke. Trotzdem heisst es aufpassen, man ist schliesslich in einem fremden Land und das deutsche Roller-Selbstbewusstsein habe ich an der Grenze abgelegt. Ab jetzt fahre ich sehr weit rechts, da die tschechischen Fahrzeugführer einen so gar nicht respektieren. Auf geraden Strecken brausen LKWs ungebremst an einem vorbei, dass man fast aus der Spur fliegt. Aber egal, schliesslich ist man Gast und kann sich daran gewöhnen, auch wenn das gleiche Verhalten in Deutschland zu wütenden Protesten von mir geführt hätte. Als kleine Gegenmaßnahme führe ich auch hier das italienische Rollerverhalten ein, das heißt, bei stehenden Verkehr fahre ich rechts vorbei oder schlängele mich zwischen den Schlangen durch. Hier in Prag stelle ich fest, dass ich in diesem Tun kein Pionier bin, sondern, dass dies weitverbreitet ist.


    Was aber mich aber verwundert, ist die Tatsache, dass es kaum Roller, Mofas oder auch Motorräder mehr zu sehen gibt. Das war mir schon in Deutschland aufgefallen, aber hier treffe ich mehr sportliche Überlandrennradfahrer denn Motorradreisende. Seltsam, oder sollte dieses Land bei seiner rasanten wirtschaftlichen Aufholjagd dem motorisierten Zweirad abgeschworen haben. Wenn dies so sein sollte, so tut dies der Dorfjugend leid, die mir bei meinen Durchfahrten neidische Blicke zuwirft.


    Wenn ich so durch die tschechischen Dörfer und Städte fahre, Frage ich mich, ob es hier noch große Ressentiments gegnüber uns Deutschen gibt. Schliesslich sind wir in dieses Land einfach einmarschiert und haben es besetzt, als ersten Zug zur Entfesselung des zweiten Weltkrieges. Am Ende des verlorenen Krieges haben besonders die Sudetendeutschen einen hohen Preis dafür zahlen müssen, sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben und ihres Habs und Guts beraubt. Die Benes Dekrete stehen für dieses, für viele als Unrecht empfundene, Verhalten gegnüber den früheren deutschstämmigen Mitbürgern. Als ich heute die Strassen entlang fuhr, fragte ich mich, was die Tschechen zu all den deutschen Firmen sagen, die man hier allenthalben sieht. Lidl, Rossmann, Globus haben ihre Handelsimperien über die deutsche Grenze ausgeweitet und stehen zu ihren deutschen, ja zu ihren globalen, Markennamen. VW, Mercedes und BMW haben die schönsten Autohäuser und wie wir alle wisse, ist Skoda ja auch ein deutsches Unternehmen, auch wenn es noch seinen alten Namen trägt. Wird dies als willkommene Europäisierung gesehen oder fragt man sich, wer die Deutschen wieder ins Land gelassen hat.

  • Was hilft gegen Kälte? Ein warmes Bad. Mein Zimmer hat ein Bad und sogar mit Badewanne. Das Badezimmer ist frisch gemacht, WC, Bidet, breites Waschbecken mit eingearbeiteten Ablagen und sogar eine Badewanne. Erfreut lasse ich Wasser ein und steige in das warme Bad. Meine Gliedmassen sind so permagefrostet, dass die Nerven nicht erkennen, ob das Wasser zu heiss ist oder nicht. Sollte ich morgen Verbrühungen aufweisen, weiss ich, woher sie kommen. Langsam kommt die Wärme zurück in den Körper. Komisch, das Gurgeln des Überlaufventils hört gar nicht auf. Stimmt da was nicht? Ja, es ist viel zu niedrig eingebaut, so auf halber Höhe. Gut für die Wasserrechnung des Hoteliers, schlecht für mich, der halb im Freien sitzt. Trotzdem: Auch ein halbes Wannenbad ist eine ganze Wohltat nach 7 Stunden Rollerfahrt. Neben der Kälte machen sich jetzt auch Sitzfleisch und Rücken bemerkbar. Zwar versuche ich mir einzureden, mein Schwälbchen sei eine kostenlose Powerplate und die dauernden Vibrationen würden Muskelgruppen meines Körpers trainieren, die sonst verkümmern würden, aber entweder stimmt diese Theorie sogar, dann leide ich unter Muskelkater meiner erstmals benutzten Muskelgruppen oder meine Theorie stimmt nicht und ich leide halt wie jeder andere auch an einem durchgesessenen Hosenboden und Stauchungen meiner Wirbelsäule. Mal sehen, wie es morgen auf dem Weg nach Leipzig wird. Das wird mit 300 km meine bisher längste Etappe, werde daher auch schon um 7 Uhr aufstehen, um nach dem Frühstück um 7:30 Uhr um 8:00 Uhr auf der Piste zu sein. Das wird ein ganz schöner Ritt, wenn ich um 12:00 Uhr in Zwickau sein soll, aber eine Vereinbarung wird eingehalten. Grosses Simsonehrenwort.


    Nachdem ich gestern in Dresden im Theater war, ist heute ein abendlicher Spaziergang in Prag angesagt. Der berühmte Wenzelsplatz ist fussläufig entfernt, den werde ich besuchen. Vor 25 Jahren habe ich ihn zuerst gesehen, und beeindruckt hat er mich schon damals nicht. Es ist eigentlich auch kein Platz sondern eine breite etwas abschüssige Strasse an deren oberen Ende ein eindrucksvolles altes Gebäude, ich glaube ein Museum, steht. Dieses Museum thront quasi über dem Platz. Rechts und links an den Strassenseiten gibt es Restaurants, einige kleinere Passagen und Geschäfte. Aus dem grauen sozialistischen Einerlei von damals ist das bunte kapitalistische Einerlei von heute geworden, das man auf der ganzen Welt findet. McDonalds, Starbucks, O2- Telekomläden, Banken und Modeketten wie ZARA oder Desigual. Einige halbseiden aussehende Casinos gibt es auch und wie auf der Reeperbahn stehen Animierherren oder Damen davor und versuchen, die Passanten insbesondere die Touristen hereinzulocken. Vor zwei Restaurants stehen verkleidete Türsteher, einen Ritter mit Helm, Schild und Schwert und ein Musketier mit Federhut und Degen sollen die Gäste auf etwas charmantere Art hineinlocken. Aus einer Bar dringt Live Jazz Musik und eine ehrwürdige alte *im Jugendstil dekorierte*Bar kann mit nichts anderem glänzen als mit gähnender Leere.*


    Was geblieben ist, sind die Würstchenbuden am Wenzelsplatz mit den unsagbar fettigen Prager Würstchen. Eine Verkäufer scheint seine Ware wohl zu oft gekostet zu haben. Sein Körper sieht aus wie eine gigantische Birne. Die Menschen, die sich hier herumtreiben, gefallen mir nicht. Eine Gruppe Schwarzafrikaner umlagert eine öffentliche Toilette, Bettler sitzen frierend vor bunten Schaufenstern und junge, rumänisch aussehende Jugendliche in schwarzen Blousons gehen ziellos umher. Dazwischen Gruppen junger Schüler, wohl aus Deutschland, auf Klassenfahrt. Interessieren sie sich so wenig für Prag, wie wir damals? Ich glaube daran hat sich nichts geändert. in dem Alter interessiert man sich nur füreinander und nicht für alte Gebäude oder Plätze.


    Zeit ins Hotel zurückzukehren. Hoffentlich übersteht meine Schwalbe auch diese Nacht unbeschädigt. Etwas besorgt bin ich ja schon, wenn ich sie so allein vor dem Hotel stehen sehe.

  • Was braucht es um ein grosses Simsonehrenwort zu brechen? Da muss viel zusammenkommen: Kälte, das Erzgebirge, eine zu optimistische Fahrtstreckenschätzung und tschechische Strassenverhältnisse. Aber der Reihe nach: Eigentlich wollte ich mich heute um 12:00 Uhr mit Tobias in Zwickau treffen, um gemeinsam mit ihm nach Leipzig zu fahren. Von Prag nach Zwickau sind es mehr als 200 km und so entschloss ich mich, sehr früh aufzubrechen. Vor dem Frühstück im Gewölbekeller des Hotels musste ich mich zuerst davon überzeugen, dass mein Schwälbchen auch die Nacht gut überstanden hat. Ja, hatte sie. Unternehmungslustig zwinkert sie mir zu und wünscht mir einen guten Appetit. Das Frühstück ist wie der Willkommensdrink included und so stärke ich mich bei einem deftigen Frühstück mit Spiegelei, Würstchen und Schinken. Personalkosten scheinen in Prag kein Problem zu sein. Hier kümmeren sich drei nett anzusehende Bedienungen um mich während im Etap Hotel in Dresden das Frühstücksbüffet von der Rezeptionistin aufgebaut werden musste.*Um 8:10 Uhr ist dann alles in der Gepäckrolle verstaut, die Sonnenbrille auf der Nase und es kann losgehen. Wie habe ich im Forum des Schwalbennests gelesen: "Die Schwalbe kommt beim ersten Kick." Ja, das tut meine meistens, selbst wenn mein 9 jähiger Sohn oder meine 13 jährige Tochter sich am Kickstarter versuchen. Heute ist es aber kalt in Prag, Nebel liegt in der Luft und der Berufsverkehr braust auf der Hauptstrasse, in die ich einbiegen muss. Höflich wie die Pragerinnen sind, will mich eine freundliche Fiat 500 Fahrerin in den brausenden Verkehr hereinlassen, aber da droht meine Schwalbe der Kältetod, unter Belastung droht der Motor abzusterben, ich zieh die Kupplung, lächle der Dame um Nachsicht heischend zu, sie schüttelt den Kopf und fährt weiter. Auch die nachfolgenden Fahrer wollen mich hereinlassen, aber es dauert, bis ich mich entschliesse, den Choke zu ziehen. Dann aber bin ich drin, mitten im Gewühl des Prager Berufverkehrs. Souverän spielt meine Schwalbe ihre Stärken in der Innenstadt aus. Wir brausen auf der linken Spur durch die nebelverhangene Innenstadt, die Sonne kämpft sich schon durch die Wolken, die Sonnenbrille sieht also nicht allzu lächerlich aus. Jetzt geht es etwas bergab, die Schwalbe kommt auf Touren, doch da wechselt der Belag von glattem Asphalt in sozialistisches Rüttelpflaster und um die Sache noch etwas unangenehmer zu machen, kommt am Ende der Abfahrt eine scharfe Linkskurve. Zähne zusammengebissen, Oberkörper aufgerichtet, linkes Knie ausgeklappt und den Lenker feste gepackt geht es in die Kurve. Na, geht doch.*


    Trotz neuer Thermounterhose und doppeltem T-Shirt bahnt sich die Kälte ihren Weg zu meinem Körper. Als besondere Schwachstelle hat sich die Lücke zwischen Ärmel und Handschuhe herausgestellt. Hier kriecht die Kälte hinein, findet den Weg unter die Ärmel und wird Kilometer für Kilometer unangenehmer. Jetzt wir erst mal getankt. Nur drei Liter wollen hineinpassen. Die Tankwartin akzeptiert meine EC-Karte, so dass ich keine Euros in Kronen tauschen muss. Weiter geht es nach Slany, einem kleinen Ort mit einer Beschilderung, die mich zweimal den Ort umkreisen lassen, ohne die richtige Strasse zu finden. Diese Ortsnamen mit y und ce am Ende hören sich alle gleich an, sehr schwer zu merken. So jetzt erreiche ich die Landstrasse Nr. 7, die mich bis zu deutschen Grenze führen soll. Die 7 ist eine Strasse, die eine kleine Autobahn ist, es geht schnurgerade geradeaus, es gibt Ab- und -Auffahrten und sogar meistens einen Standstreifen. Auf dem fahre ich und teste die Vollgasfestigkeit meiner Schwalbe. Mein Gott, ist das eintönig, aber ich will ja mein Simsonehrenwort halten und um 12:00 Uhr in Zwickau sein. Wenn mich LKWs überholen, dann habe ich das Gefühl, ich werde gleich unter die Räder gesaugt, die Schwalbe rüttelt sich, aber folgt willig meinen korrigierenden Lenkmanöver und bleibt in der Spur. Leider bleibt keine Zeit, dem Ort Louny einen Besuch abzustatten. Ein Schwarzbier trägt den Namen Fürst Louny und ich hätte gerne den Brauort mir mal angesehen. Aber was nicht geht, geht nicht. Weiter also auf der 7. Die Zeit oder besser die Kilometer wollen nicht vergehen und ausser ein paar Schornsteinen in der Ferne ist nicht viel zu sehen, auch nich das 1 mal Zwei Meter grosse Loch in der Asphaltdecke, das sauber herausgefräst wurde. Meine Schwalbe übersteht den kleinen Flug in das Loch hinein, aber der Schlag den es am Ende beim wieder rausfahren tut, lässt mich doch um mein Fahrwerk bangen. Hätte man das nicht absperren können?


    Irgendwann nach endlosen Kilometern nähere ich mich der Deutschen Grenze, jetzt geht es das Erzgebirge hinauf. Wie war das? Je höher man kommt, je kälter wird es. Wir nähern uns nicht nur der Grenze, sondern auch dem Gefrierpunkt. Endlich das Schild Deutschland. Wieder zurück in der Flatrate Zone. Was sagt mein Navigon? Was? Noch 130 km nach Zwickau und erst 120 km geschafft. No Way. Mit zitternden Händen sage ich Tobias ab. Es geht nicht, ich zittere am ganzen Körper und beginne zur Belustigung der vorbeifahrenden Fahrer ein Hüpf - und Schüttelprogramm, um mich aufzuwärmen. Langsam geht es wieder.*


    Weiter geht es nach Leipzig.*

  • Hi,


    Wenns kalt ist fährt man automatisch langsamer damit es einem nicht soo auskühlt.
    Dann zieht sich die Strecke entsprechend.
    Hauptsache Du kommst heil zurück.



    solong...

  • Ein strahlender Oktobersonntag in Deutschland. Die Sonne scheint, das verfärbte Laub leuchtet strahlend. Indian Summer nennen das die Amerikaner. Ich bin auf dem Weg nach Berlin. Meine Schwalbe hat den Ruhetag in Leipzig genossen, konnte sie doch auf dem Parkplatz vor dem Nobelhotel Westin Grand Freundschaft mit einem Porsche Cayenne schließen, der ihre Nähe suchte und auf dem VIP-Parkplatz neben ihr geparkt wurde. Ich erholte mich in der Zeit in der hoteileigenen Sauna und kostete das opulente Frühstücksbüffet so richtig aus. Allerdings gab es die besten Brötchen bislang im Etap Hotel in Dresden.


    Jetzt wo es heimwärts geht, spiet das Wetter nochmal so richtig mit, als wolle es sagen: "Dirk, willst Du wirklich schon nach Hause?". Und da jeglicher Zeitdruck fehlt, wird der letzte Tag meiner Ausfahrt der angenehmste. Ich nehme mir Zeit für kleine Zwischenstopps. Willig posiert meine Schwalbe vor allen Sehenswürdigkeiten auf der Strecke. Man sieht ihr die nahezu 1000 km nicht an, die sie hinter sich hat. Zweimal habe ich sie in Bedrängnis gebracht, aber auch das hat sie mir verziehen und locker weggesteckt.


    So habe ich mir es zur Angewohnheit gemacht, am Anfang jeder Tagestour erst einmal den Tank zu füllen und den Luftdruck zu prüfen. Entweder die Schwalbereifen halten den Luftdruck nicht stabil, oder die Luftdruckmessgeräte sind alle unterschiedlich geeicht. Etwas muss immer nachgefüllt oder abgelassen werden. Da in Tschechien an den Tankstellen Luftpumpen nicht die Standardaustattung sind, fahre ich jetzt schon seit Dresden mit ungeprüftem Luftdruck. Ich steuere also nach meinem Aufbruch in Leipzig die nächste Tankstelle, eine große Aral, an und fahre zur Luftstation. Das ist so eine stationäre, mit großer Uhr und langem Schlauch. Leider sind die Plätze neben ihr belegt. Links reinigt eine Truppe junger Leute mit Migrationshintergrund einen Nobel-BMW, rechts schaut ein grau gekleidetes Rentnerehepaar besorgt unter die offene Motorhaube ihres ebenfalls grauen Kleinwagens. Also stelle ich mich quer vor die kleine Pflasterinsel mit der Messstation, rolle den Schlauch aus und schliesse ihn ans Vorderrad an, gehe zur Uhr und drücke leicht auf den Plusknopf. Die Plus- und Minusknöpfe als solche sind gar nicht mehr vorhanden, sondern nur noch die Trägerstifte ragen aus dem Gerät. Also leicht gedrückt und in dem Moment steigt der Druck meines Reifens auf 7 Bar. Das ist fast das fünffache der empfohlenen 1,5 bis 2 Bar im Solobetrieb. Vor meinen Augen sehe ich schön den Schlauch platzen und mich mit platter Schwalbe auf den Pannendienst warten. Schnell drücke ich auf den Minusstift und lasse Luft ab. Während das Aufpumpen nur wenige Sekunden währte, dauert das Luftablassen eine gefühlte Ewigkeit. 7, 6, 5, 4, 3, 2 ganz langsam bewegt der Zeiger sich zurück, während das Geräusch der abgelassenen Luft den eingeschalteten Staubsauger nebenan übertönt. Endlich 1,7 bar erreicht. Ich entferne den Schlauch, rolle ihn nachlässig auf, kicke mein Schwälbchen an (sie kommt natürlich auf den ersten Kick) und fahre weiter. Zu dieser Luftstation habe ich kein Vertrauen mehr. Ich fahre zur nächsten Tanke. Hier klappt es ohne Probleme. Der Luftdruck muss am bereits befüllten Vorderreifen nur geringfügig korrigiert werden und beim Hinterrad erhöhe ich die gemessenen 1,5 auf 2,2 bar. Na, da bin ich ja nochmal davongekommen und eigentlich war es nicht meine Schuld sondern dieses Luftdruckgerät war halt kaputt.


    Die Schuld auf seelenlose Geräte abzuwälzen, klappt nicht immer. Auf dem Weg von Prag nach Leipzig quälte ich meine Schwalbe einen Steigung hinauf, schon bald musste ich von höchsten Gang meiner Dreigangschwalbe in den zweiten Gang hinunterschalten. In diesen Momenten bekomme ich immer Mitleid mit dem Motörchen. Der kleine 50ccm Zylinder muss dann so schwer arbeiten, und schafft es dann doch. Die Steigung flacht ab, der Scheitelpunkt der leichten Anhöhe wird sichtbar, die Tachonadel nähert sich der 40, gleich ist 45 km/h erreicht, der optimale Schaltzeitpunkt. Ich freue mich schon auf das gleich einsetzende gute Gefühl der Beschleunigung, der dritte Gang hat bei 45 km/h schon richtig Drehmoment und schiebt die Schwalbe souverän vorwärts. Lässig hebe ich mein linkes Bein um auf die Schaltbrücke zu treten und den dritten Gang einzulegen. Aber was tue ich? Ich trete statt hinten vorne auf die Schaltbrücke und schalte runter in den ersten Gang. Die Schwalbe schreit laut auf, der ausgebremste Motor reißt an der Kette, ich fliege fast über den Lenker. Wie blöd kann man eigentlich sein? Schnell schalte ich wieder hoch, die Schwalbe erholt sich, aber das schlechte Gewissen bleibt noch einige Kilometer. Hoffentlich hat das keine bleibenden Schäden im Antriebsstrang verursacht, frage ich mich. Aber meine Schwalbe ist nicht nachtragend. Munter fährt sie weiter und macht mir keine Probleme.


    Nach der Lektüre im Schwalbennest, dem Forum der Verrückten und Verzweifelten, wie ein führender Berliner Simsonersatzteilehändler dieses Forum nennt, war ich ja doch etwas besorgt, ob man eine 26 Jahre alte Youngtimer Maschine, wie die Schwalbe, pannenfrei über so eine große Tour bekommt. Zudem habe ich sie vorher auch nicht durchchecken lassen, da sie so schön lief. Auf Ersatzteile habe ich auch verzichtet, da man ja doch immer das Falsche mitnimmt. Aber meine Sorge war unbegründet. Sie hat nicht gemuckt und hat alles anstandslos mitgemacht.


    Jetzt nähern wir uns Berlin und es ist nahezu unmöglich, Berlin zu erreichen, ohne dabei Autostraßen zu benutzen. Auch mein Navigon führt mich immer wieder auf diese Autostraßen, selbst im Fahrradmodus. Nach einigen Versuchen, mich vorschriftsmäßig zu verhalten, gebe ich auf und fahre auf die gelbe Autobahn auf. Wirklich wie eine Autobahn: Mittelstreifen, zwei Spuren in jede Richtung, Standstreifen, Leitplanken, Ein- und Ausfahrten, keine Kreuzungen. Ich entscheide mich für den Standstreifen, wo ich gemütlich mit 65 entlang tuckere. Überholt werde ich hin und wieder von den wenigen Autos, die sich auf diese Straße verirren. Darunter sind auch keine Oberpädagogen, die mit erzieherischem Anspruch mich auf mein regelwidriges Verhalten hinweisen. Und gottseidank ist auch keine Polizei unterwegs.


    Huch, da war ja schon das Berliner Ortsschild. Wir sind wieder daheim. Unser kleines Abenteuer ist zu Ende.

  • Liebe Freunde der Simson Schwalbe,


    nach Euren positiven Rückmeldungen auf meinen Reisebericht, habe ich mich hingesetzt und daraus ein Buch entwickelt. Dieses Buch ist nun fertig und heißt: „Herbstflug – Mit der Simson Schwalbe und dem iPhone von Berlin nach Prag und zurück".


    Natürlich bin ich mächtig stolz auf mein Erstlingswerk, möchte mich aber bei Euch noch einmal ausdrücklich bedanken für eure Tipps und Ratschläge, die meine Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.

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