940km in 39h – Eine Roadstory
Was macht man, wenn man zum Bäcker um die Ecke geht? Man läuft. Was macht man, wenn man zum wöchentlichen Großeinkauf in das Einkaufszentrum am Stadtrand fährt? Man nimmt das Auto. Was macht man, wenn man ein Seminar in einer 450km-entfernten Rheinmetropole hat? Richtig. Man nimmt einen kleinen grünen Zweitakter, der sich mit seinen 3,7PS auf 60km/h beschleunigt.
Natürlich wäre es auch möglich, diese Strecke in einem warmen, leisen ICE zurückzulegen, aber zum einen bezahlt man dann ungefähr das Doppelte, zum anderen sind 450km gar nicht so viel. Dachte ich.
Das Seminar würde am Montag Nachmittag von 15:00 bis 18:00 Uhr stattfinden. Ich wusste, dass ich am Dienstag Abend einen Termin in Halle hatte und ich konnte erst Sonntag Mittag starten, weil ich am Samstag noch arbeiten musste. Den Start für Sonntag plante ich also für um 12. Mit einem Schnitt von 30km/h würde ich Köln gegen 22:00Uhr erreichen. Es ist Sonntag, ich wache auf. Ich blicke auf meine Uhr. Es ist 12:30. Okay, ich hatte großzügig geplant, also alles kein Problem. Ich packte die Taschen für meine Schwalbe. Kleidung, etwas zu trinken, das nötigste Werkzeug. Ich nahm auch einen Schlafsack mit. Zwar hatte ich in Köln Verwandschaft, aber ich war mir nun nicht mehr sicher, ob ich die Stadt vor Mitternacht erreichen würde. Für den Fall, dass ich es nicht schaffen sollte, würde ich schon einen Platz im Freien finden um ein paar Stunden zu schlafen. 14:00 Uhr fuhr ich los, der erste Stop nach 5 Minuten. Lufdruck prüfen. Weiter ging es, auf die B80, Richtung Lutherstadt Eisleben.
Nach 20 Minuten fing es an zu regnen. Wie schön. Ich konnte noch schnell unter einem Baum halten und mir meine hoffentlich regenfeste Motorradkleidung anziehen. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, also fuhr ich weiter. Da ich meinem Reifenprofil bei Regen nicht vertraue, fuhr ich besonders vorsichtig. Der Regen prasselte gegen meinen Helm, die Gischt der mich überholenden Autos verdreckte immer wieder mein Visier. Gemütlich war es nicht gerade. Egal. Weiter ging es über Sangerhausen und Nordhausen. Der monoton surrende Motor zwischen Meinen Füßen verrichtete ohne Probleme seine Arbeit. Es regnete immer noch. Meine Motorradkombi war zum Glück dicht, im Gegensatz zu meinen teuren Handschuhen. Beim ersten Tankstop war meine Haut schon ganz schrumpelig und außerdem war es furchtbar kalt. Auch meine Füße waren nicht trocken geblieben.
Irgendwo auf einer kurvigen Landstraße zwischen Nordhausen und Kassel stand vor einer Kurve ein Warndreieck. Hinter der Kurve lag ein weißer BMW im Straßengraben. So eine Situation hatte ich schon einmal vor 3 Jahren erlebt. Damals war es ein roter BMW und der Fahrer war zwischen Mittelkonsole und Baum eingeklemmt gewesen. Neben dem weißen BMW standen, Zigarette rauchend, ein Mann und eine Frau. Gott sei Dank. Ich hielt an und fragte ob alles okay sei. Dem war so, also fuhr ich weiter, jetzt noch vorsichtiger. Irgendwann hörte der Regen auf. Leider wurden meine Handschuhe davon auch nicht trocken. Zusätzlich zum kalten Wetter kam nun, dass mir der Rücken anfing weh zu tun. Der Schaumstoff der Sitzbank ist für längere Touren einfach zu weich.
Mittlerweile war mir klar geworden, dass ich Köln nie und nimmer zur geplanten Zeit erreichen würde, also wollte ich es mindestens noch bis Korbach, eher Olpe schaffen. Ich hatte absichtlich kein Zelt mitgenommen, weil ich auf Zelten im Regen einfach keine Lust hatte. Mich reizte das Abenteuer, einmal unter einer Brücke zu schlafen. Warum auch nicht? Unter Brücken ist es trocken und man ist normalerweise ungestört. Ich suchte also permanent nach geeigneten Brücken. Das stellte sich als sehr schwierig heraus. Denn der Zustand unter einer Brücke ist nur dann einsehbar, wenn man darunter druch fährt. Dann ist es aber logischerweise eine Brücke, unter der Autos durchfahren und das wollte ich nicht. Brücken, die über Flüsse gehen, sind schlechter einsehbar und manchmal so zugewachsen, dass sie sich nicht zum Übernachten eignen.
35 Kilometer vor Korbach war wieder einmal mein Tank leer. Ich schaltete auf Reserve und wusste aus Erfahrung, dass ich nun bei vorsichtiger Fahrweise noch 22 Kilometer zurücklegen konnte. Es war inzwischen nach Mitternacht und ich passierte Ortschaft für Ortschaft. Doch keine Tankstelle hatte mehr geöffnet. Bis Korbach waren es nun noch 10 Kilometer und es machte sich Panik breit. Was sollte ich tun, wenn ich mitten auf einer Landstraße liegen bleibe? Ein Auto anhalten? Dass Leute Benzinkanister mitführen, passiert dank gut ausgebauter Tankstellennetze immer seltener. Den ADAC anrufen? Hilft der einem in solchen Fällen? Ich wusste es nicht. Ich fuhr weiter, so langsam wie möglich, den Gasgriff so wenig aufgezogen wie nötig. Die 22 Kilometer waren längst gefahren und Korbach war, wie gesagt, noch 10 Kilometer entfernt. Die Situation war zum Verzweifeln. In der Theorie war mein Tank schon lange leer, aber die Schwalbe fuhr mit 25km/h immer weiter. 2 Kilometer vor Korbach passierte es dann. Der Motor zündete nicht mehr. Ich ließ das kleine grüne Moped im vierten Gang ausrollen um so lange wie möglich Licht zu haben. Glücklicherweise war 20 Meter weiter ein kleiner Parkplatz, auf welchem ich hielt. Ich schüttelte die Schwalbe um noch die letzten Tropfen Benzin in den Vergaser laufen zu lassen. Ich trat auf den Kickstarter und siehe da: Sie sprang an! Ich fuhr ganz langsam weiter und sah wenige Augenblicke später das Ortsschild von Korbach. Stotternd rollte mein 32 Jahre altes Zweirad auf das Gelände der Esso Tankstelle. Ich hatte es geschafft! In den Tank passten nun 6,5 Liter, so viel wie noch nie!
Mit vollem Tank ging die Fahrt weiter, mein Ziel war nun Olpe. Weiter wollte ich auf keinen Fall fahren. Wenn ich vorher einen geeigneten Schlafplatz finden würde, würde ich ihn nehmen. Ich passierte den sehr kalten Ort Winterberg, dann Schmallenberg und Lennestadt. Schließlich erreichte ich Olpe. Keine Brücke. Und was passiert, wenn einem kalt ist, man vor Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten kann und Rücken und Sitzfleisch von 300km Fahrt so richtig weh tun? Genau. Es fängt wieder an zu regnen. Darauf hatte ich nun gar keine Lust, also fuhr ich sofort unter ein Haltestellenhäuschen an einem Dorfrand und setze mich auf die Bank. Meine Füße platzierte ich auf dem Auspuff um sie zu wärmen. Von meinem Platz an der Haltestelle sah ich die Häuser des Dorfes, durch welches ich gerade gefahren war. Teilweise waren sie noch erleuchtet und ich stellte mir die Menschen vor, die bei einem warmen Tee vorm Fernseher saßen und bald in ein warmes Bett steigen würden.
Der Versuch auf der Bank des Haltstellenhäuschens zu schlafen, scheiterte. Zum einen weil es furchtbar unbeguem war und zum anderen weil in 3,5 Stunden der nächste Bus kommen würde. Ich zog also wieder meine Motorradhose an und fuhr weiter durch den kalten Regen über Bergneustadt, Gummersbach und Engelskirchen. Als ich durch Overath fuhr, grüßte ich in Gedanken meine hier lebenden Verwandten. Mittlerweile war es halb 3, dort zu klingeln kam also wirklich nicht in Frage. Dann endlich, in Lohmar, 15 Kilometer vor Köln fand ich eine Brücke. Sie war recht groß und ging über einen Fluss. Ich stellte mein Moped ab und ging mit meiner Taschenlampe die Stufen zum Wasser hinunter. Was für ein schöner trockener Platz. Das leisende rauschende Wasser, rundherum Sträucher als Sichtschutz und zwei Kaufland-Einkaufswagen. Vielleicht würde ich also noch Besuch bekommen. Ich nahm die nötigsten Sachen von meiner Schwalbe und richtete mir unter meiner Brücke ein Lager ein. Es war wie im Paradies. Ich kroch in meinen Schlafsack und schlief nach über 400 Kilometern in 13 Stunden sofort ein. Es war 3:30Uhr.
Fortsetzung folgt...